Es scheint, als ob das Chaos der heutigen Welt uns mehr zusetzt, als wir uns eingestehen wollen. Wir werden von zahlreichen Anforderungen überwältigt, und unsere eigenen Bedürfnisse geraten dabei in den Hintergrund. Um dem Druck zu entkommen, suchen wir Ablenkung – eine scheinbare Pause, die jedoch nur kurzfristig Erleichterung bringt. Sobald wir zur Realität zurückkehren, trifft uns das Chaos mit noch grösserer Intensität.

Das äussere Chaos wirkt dabei wie ein Verstärker unseres inneren Unfriedens. Würde man es als Lautsprecher betrachten, bräuchten wir permanenten Gehörschutz mit Active Noise Cancellation. Doch wie gehen wir mit diesem Chaos um? Wie finden wir einen Weg, sowohl der äusseren Welt als auch uns selbst zu begegnen?

Ablenkung ist eine trügerische Lösung. In unserer individualistischen Gesellschaft wird Ablenkung oft als Allheilmittel propagiert. Wir schieben unser inneres Chaos beiseite und hoffen, dadurch Erleichterung zu finden. Doch was wir übersehen: Während wir uns ablenken, arbeitet unser Gehirn auf Hochtouren. Die Seele wird unterdrückt, und die ungelösten Probleme kehren mit doppelter Wucht zurück. Ein bekanntes Beispiel ist das sogenannte «Doomscrolling»: Stundenlang scrollen wir oder schauen uns Filme an und danach sind wir kein Stück schlauer. Im Gegenteil, der Frust wächst.

Der Schlüssel liegt darin, die Aufmerksamkeit wieder auf sich selbst zu lenken. Selbstregulation bedeutet, den äusseren Lautsprecher leiser zu drehen, um sich dem inneren Chaos zuzuwenden. Das gelingt meistens nicht, weil es einfacher ist sich abzulenken, als sich mit den harten Fakten der Innenwelt auseinanderzusetzen. Äussere Reize dienen häufig dazu, die innere Unruhe zu übertönen, was letztlich jedoch zu einer Verstärkung dieser Unruhe führt.

Wähle ein Leben, bei dem du bestimmst, welche äusseren Faktoren dich beeinflussen dürfen. Selbstregulation beginnt damit, die Kontrolle über den Lautstärkeregler des äusseren Chaos zu haben. Das kann bedeuten, äussere Einflüsse zeitweise zu unterbrechen, um das innere Chaos überhaupt wahrnehmbar zu machen.

Ich empfehle, bewusst Zeiten einzuplanen, die ausschliesslich von natürlichen Einflüssen geprägt sind. In der Schweiz gibt es zahlreiche Rückzugsorte. Ein Waldstück in der Nähe deines Wohnorts kann dir helfen, zur Ruhe zu kommen. Suche nach abgelegenen Wegen oder Nebenstrassen, wo du möglichst wenig Kontakt zu Menschen oder Verkehr hast. Bewege dich vorwärts und achte darauf, was in dir vorgeht – was dich aufwühlt, bewegt oder beschäftigt. Gib deinen Gedanken einen Platz: Schreibe sie auf Steine und versenke diese symbolisch. Setze dich an einen Baum, lass die Umgebung auf dich wirken und nimm die Natur bewusst wahr.

Nicht jedes innere Chaos lässt sich vollständig auflösen. Notiere (Stift und Papier) deine Gedanken und ordne sie: Was kannst du lösen und was bleibt offen? Wo fehlt dir die Kraft oder Macht? Wo benötigst du Hilfe? Nutze auch spirituelle Ressourcen, um deine Sorgen abzugeben – sei es im Gebet oder durch Meditation. Ich glaube, dass wir Menschen nicht alles lösen können und für uns Fragen offen bleiben.

Ich glaube, dass Ablenkung für innere Erleichterung das falsche ist. Echte Ruhe finden wir, wenn wir uns unserem inneren Chaos stellen. Je mehr man sich ablenkt, desto weniger ist man sich selbst bewusst. Alleinsein ermöglicht es, sich selbst zu begegnen und in der nächsten Begegnung mit anderen authentischer und geerdeter aufzutreten.